Montag, 18. August 2008

Brasilianische Freundlichkeit

So, bevor ich anfange, über die Leute hier zu berichten, erstmal etwas an alle meine Freunde in Deutschland: Ich mag euch alle. In diesem Text könnte ich euch vielleicht schlecht darstellen, aber damit beziehe ich mich auf die Zeit, bevor wir uns kannten. Ehrlich, ist keinesfalls böse gemeint :-)

Also. Ich bin jetzt ja schon auf den Tag 4 Wochen in Brasilien. Natürlich habe ich die Zeit nicht bloß an meine tollen Freunde in Deutschland gedacht, sondern auch einige Brasilianer kennengelernt.

Sollte ich das ganze Thema in einem Wort beschreiben, würde ich wohl ohne lange nach zu denken sagen:"Anders."
Zuerst einmal: Der physische Abstand bei Gesprächen ist hier viel kleiner, die Gesichter sind hier etwa 20cm entfernt, wenn man das zum ersten Mal erlebt, ist das etwas komisch. Und auch jetzt baue ich diese Nähe nicht von selbst auf, sondern "halte sie aus". Ich bin es eben noch nicht gewohnt.

Auch die Gestik ist viel aktiver, das Gesagte wird durch ausladendere Bewegungen verdeutlicht als ich sie aus Deutschland kenne. Die Gestik schließt aber auch- und das ist für mich der größte Unterschied- eine große Menge Körperkontakt mit ein.
Dazu eine kleine Geschichte: am 9. Tag meines Aufenthalts bin ich mit meinem Gastbruder, einer Deutschen, ihrer Schwester, ihrem "Freund" (dazu später mehr) und zwei weiteren Brasilianern, ein Junge und ein Mädchen, in eine ausgegangen.
Als wir dann um 24.00Uhr in der Schlange der Disko standen, sah ich zufällig, wie die beiden anderen Brasilianer sich unterhielten und der Junge zu Verdeutlichungzwecken die Hand des Mädchens nahm um irgendwas zu erklären. Naja, bloß losgelassen hat er sie dann eine ganze Weile nicht, nachdem er fertig verdeutlicht hatte. Da die beiden sich schon den ganzen Abend unterhielten, dachte ich mir, dass sich da wohl noch etwas entwickeln würde und teilte auch genau das der anderen Deutschen mit. Es hat sich bloß nie etwas entwickelt, und das war auch nicht weiter verwunderlich.

Ich hatte einfach alles vollkommen falsch interpretiert, was in Deutschland ganz klar eine Anmache ist (Händehaltend unterhalten, Streicheln etc., aber eben auch Hand auf den Hintern bei der Begrüßung), ist ganz einfach ganz normale Umgangsform.
Mit dem Gesprächsinhalt verhält es sich ähnlich. Es gibt soweit ich das sehe kaum Sachen, über die man nicht bei einer ersten Begegnung reden kann.

So habe ich zum Beispiel am Freitag mit einem Klassenkameraden ein wirklich langes Gespräch über Fernbeziehungen etc geführt (seine Freundin lebt in Sao Paulo, 7 Stunden entfernt. Am Wochenende kommt sie aber wegen ihrer Familie oft hierher. Freilich ist das nichteinmal der Anfang der Details, die ich natürlich nicht weitererzähle...).
Hier scheint jeder alles über jeden wissen zu dürfen, es ist keinesfalls peinlich oder zu intim zu fragen oder ehrlich und ausführlich zu antworten. Ich finde das sehr angenehm, wenn man ein Problem hat, kann man sich wohl ziemlich jedem anvertrauen, und das würde ich von Deutschland nicht sagen. Oder würde irgendjemand, wenn er zufällig jemanden kennenlernt, sofort offen über Beziehungsprobleme sprechen? Warum eigentlich nicht?

Genau das gleiche erlebte ich auch am Samstag auf einer Abschiedsparty, auf der ich vor allem mit der Freundin des Gastgebers geredet habe: Sie hat 4 Jahre lang einen anderen gedatet und erst vor kurzen ihren jetzigen Freund, der für 1 Jahr in die USA geht, kennengelernt.
Diese 4 Jahre sind ihr sehr wichtig und sie muss sehr oft darüber nachdenken. Und wiedereinmal verrate ich lange nicht alles, gehört sich in Deutschland ja nicht ;-)

Aber ich habe gerade "gedatet" geschrieben.

Ich habe mich noch absolut gar nicht daran gewöhnt, wie das hier mit Beziehungen läuft:
Entweder, man küsst sich nur mal so auf einer Party, das ist dann garnichts. Oder, man küsst immerwieder den/die selbe auf Partys, dann "dated" man sich. Aber dass kann eben auch 4 Jahre so gehen.
Erst, wenn man den anderen fragt, ob man mit ihm "stayen" möchte (ich habe die Brasilianischen Ausdrücke leider vergessen, und im deutschen kann ich diesen unterschied nicht machen) und man ja sagt, ist man wirklich zusammen. Also:
1) Man fragt sich, so richtig klassisch, ob man zusammensein möchte.
2) Das Wort "Liebe" wird nicht so inflationär benutzt, wie es in Deutschland manchmal der Fall ist. Liebe hat hier noch eine große Bedeutung.
Finde ich an sich ganz gut. Bloß kommen dadurch auch einige Probleme zustande, die vor allem bei dem Übergang von "Daten" zu "Stayen" auftreten. Deswegen bevorzuge ich in diesem Fall das deutsche System.

Aber bis jetzt ist die Message "eher so im Subtext mitgeschwommen."
Keine Angst, jetzt kommt sie noch einmal so ganz klar, wortwörtlich und aggressiv:

Die Brasilianer sind viel offener als die Deutschen. Stellt euch einen richtig offenen Deutschen vor. Euch fällt bestimmt einer ein. Jetzt füllt ein Land mit 188 Millionen davon, in jedem erdenklichen Alter, Hautfarbe, Reichtum, Aussehen etc.
Hier fangen die Portiere von Hochhäusern Gespräche mit einem an, wenn man auf jemanden wartet.
Hier kennt man als Jugendlicher die Kellner in der Shoppingmall beim Vornamen und begrüßt sich mit Handschlag.
Hier erzählt eine Lehrerin in der Schule herum, dass ich das Brasilianische Bier nicht mochte, als ich bei ihrem Sohn auf einer Cervejanada (ungefähr Bierfest) war.
Oder die Lehrer holen begeistert die Schulleiterin in die Klasse, wenn jemand wirklich wegdöst. Und zwar damit die ein Foto für die Schulhomepage machen kann.

Ich hoffe ich konnte euch verblüffen und vielleicht sogar zeigen, was ich hier erlebe. Die Erlebnisse mögen nicht so extrem klingen, aber schon der Satz: "Das Essen in Brasilien ist anders" erfasst zwar die Tatsache, klingt aber langweilig. Man kann sich garnicht denken, was für einen Unterschied allein das macht!

Robert

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