Freitag, 1. August 2008

Schule

Liebe Zurückgebliebene,

während ihr noch im Urlaub seid oder in Oldenburg eure Ferien genießt (wo es im Moment wärmer ist als hier), hat für mich der Ernst des Lebens schon begonnen:
Seit einer Woche besuche ich nun schon das "Colegio Atomo", meine kleine brasilianische Schule. Klein deshalb, weil sie einzügig ist. Die Klassenräume sind etwas größer, dafür aber auch die Klassenstärken.
Nun, ich habe in meinen 12 Tagen Brasilien hunderte kleine und große Unterschiede festgestellt, und ich bin mir sicher: die Schule ist einer der größten!
Sie beginnt schon um 7.20 Uhr und dauert nur bis 12.30 Uhr. In diesem Zeitraum ist Platz für 6 Unterrichtsstunden á 50 Minuten und eine Pause, Intervalo genannt, von 20 Minuten.
Aber das ist noch nicht der größte Unterschied. Ich schreibe einfach einmal meinen Stundenplan auf:
Feira (Montag):2x Fisica (Physik) bei Jair, 2x Literatura, 2x Matemática bei Enio

Feira (Dienstag):2x Gramática, 2x Biologia bei Bell, 2x Matemática bei Júlio

Feira (Mittwoch): 2x Química (Chemi) bei Marchetti, 2x Biologia bei Dalva, Geografia, Biologia bei Bell

Feira (Donnerstag):Geografia, Química bei Xico, 2x Inglês, Química bei Marchetti, Química bei Xico

Feira (Freitag): 2x Fisica bei Alfredo, 2x Historia,2x Redacao

So, wer findet die Unterschiede zu Deutschland? 
Erstmal sieht man, dass es viel häufiger Blockunterricht gibt. Soweit so gut. Aber wenn man sich dann die Namen der Lehrer hinter den Fächernamen anguckt, sieht man: Wir haben 2 Physiklehrer, 2 Mathelehrer, 2 Biolehrer und 2 Chemielehrer.
Und, was aus dem Plan noch nichteinmal hervorgeht: Wir haben 3 PortugiesischLehrer! Literatura, Gramatica und Redacao sind nämlich eigentlich zusammen das, was in Deutschland "Deutsch" heißt.
Die Frage ist, was soll das ganze?
Die Lehrerwechsel führen doch eigentlich nur zu Verwirrung, da die Lehrer nicht wissen, was die Schüler wissen und vielleicht zu viel vorraussetzten! Und - Wenn jeder Lehrer maximal 3 Stunden mit der Klasse verbringt, wie kann er sie dann einschätzen und mündliche Noten verteilen?
Nun, es ist so: Die Lehrer unterrichten völlig verschiedene Dinge. Zum Beispiel geht es bei Enio in Chemie um Reaktionsabläufe und wie viel Energie dafür aufgewendet wird. Bei Marchetti geht es um "Nomenclatura", also um die Namensgebung. In seinen Stunden lernen wir nur, Methanolketten richtig zu benennen, während diese bei Enio keine Erwähnung finden. Genau so ist es in allen Fächern.
Zum zweiten Punkt, wie die Lehrer die Schüler bei diesem System in ihrer Leistung einschätzen sollen, ist die Antwort ebenfalls einfach: GARNICHT! Es gibt keine mündlichen Noten, keine Lehrer die unaufmerksame Schüler drannehmen oder ähnliches. Das einzige, was zählt, ist, wieviele Punkte man in den Tests schreibt.
Das führt zu zwei Dingen:
1) Unterricht besteht aus Frontalbeschallung und Von-der-Tafel-Abschreiben und verzichtet fast völlig auf die Mitarbeit der Schüler und
2) Es ist dem Lehrer vollkommen egal, was ein Schüler macht, solange er nicht den Unterricht stört. Und schlafen stört den Unterricht nicht. SMS schreiben nicht, MP³player hören nicht...Es ist nichts ungewöhnliches wenn 3 Schüler die Stunde durchschlafen. Am Ende werden sie eventuell sogar noch freundlich von dem Lehrer geweckt und in ein Gespräch über irgendetwas verwickelt. Den Lehrer stört es kein Stück weit, ob die Schüler sich für den Unterricht interessieren. 
Und ein weiterer Unterschied zu den deutschen Schulen liegt ganz klar in der Gewichtung der einzelnen Fächer. Ich habe mir in der gestrigen Chemiestunde die Zeit genommen, die Fächer zu zählen, und komme zu folgendem Ergebnis:
Den Naturwissenschaften werden in Brasilien 18 Stunden eingeräumt, während es in Deutschland gerade einmal 9 Stunden sind. Die Sprachen kommen mit 6 Stunden Portugiesisch und 2 Stunden Englisch ziemlich kurz, während in Deutschland auf meinem Stundenplan 14 Fächer sprachlicher Natur sind. Auch die Geisteswissenschaften haben es nicht all zu gut: 2 Stunden Geschichte und 2 Erdkunde stehen hier 8 Stunden in Deutschland gegenüber.
Das führt dazu, dass die Schüler der Secunda in Brasilien in Chemie wesentlich weiter sind als die Deutschen in Klasse 10. Genau umgekehrt verhält es sich aber in z.B. Englisch.
Hier brachte uns die Lehrerin diese Woche bei, das Adverben im Englischen auf "ly" enden. Als eines der Beispiele diente: "The service is unfriendly and slow."
Auf meinen Widerspruch ist die Lehrerin nicht eingegangen.
Der Englischunterricht ähnelt hier auch sehr dem Lateinunterricht in Deutschland. Nur das wenigestens der Lehrer im Unterricht Englisch spricht. Genau das führt auch dazu, dass sehr viele Menschen Nachmittags extra Unterricht nehmen. Das gilt hier als Selbstverständlichkeit.

Até logo, Robert

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