Sonntag, 16. Dezember 2007

Die Reise

Wenn ich ein Jahr in Brasilien verbringen will, muss ich auch irgendwie dorthin gelangen. Ok, dass ist nun nicht gerade überraschend, aber Fakt ist Fakt. Und am besten kommt man von Oldenburg nach Brasilien mit dem Flugzeug. Zum Flugzeug kommt man am besten mit dem Auto. Ich habe mir ein paar Gedanken zu meinem letzten Tag in Deutschland gemacht.
Dieser könnte ungefähr so aussehen:
Noch ein Tag bis zur Abreise,Oldenburg, 20.00
Meine Koffer sind schon halb gepackt. Ich habe viel vergessen und nochmehr eingepackt. Am Abend kommen dann gute Freunde der Familie, wir reden viel über Oldenburg und über meine Kindheit. Ich bin ein wenig traurig, gleichzeitig aber gespannt auf das, was nun auf mich zukommt.

Tag des Abflugs, mein Zimmer, 2.00 Uhr,
Ich bin gestern um 24.00 ins Bett gegangen und mir nicht ganz sicher ob ich überhaupt schon geschlafen habe. Hoffe ich aber. Auf jeden Fall liege ich jetzt wach und denke an mich.*
Aber auch die ersten Ängste vor dem Unbekannten, Neuen werden aufkommen: Wird mich Brasilien akzeptieren? Komme ich mit meiner Gastfamilie aus? Was werde ich in Deutschland verpassen? Wie werde ich empfangen werden?

Tag der Reise, Schlafzimmer meiner Eltern, 2.00,
Meine Eltern sind um 24.00 ins Bett gegangen, genau wie ich. Das könnte passieren:
Beide liegen wach und können nicht einschlafen. Papa sagt, das Licht der Nachbarn ist viel zu hell. Mama bemerkt, dass eine Fledermaus durch die Luft fliegt. Keiner von beiden spricht aus, was er wirklich denkt: Morgen ist es so weit, ein neues Kapitel wird geschrieben, oder vielleicht sogar ein neues Buch. Auf jeden Fall wird es ein tiefer Einschnitt sein. Keiner von beiden sagt, dass er Angst hat vor dem, was kommt. Immer wieder sagt einer von beiden leise:" Es wird eine wichtige Erfahrung für ihn. Und es ist gut für ihn." Beide wissen, was gemeint ist, nämlich**: Es wird schwer, viele Gewohnheiten werden wir umstellen müssen. Und wird der Robert-Ersatz genau so toll sein, gebildet, gut aussehend, humorvoll, freundlich ***?

Tag des Abflugs, Zimmer meines Bruders, 2.00
Peter schläft und träumt von Gardienen aus Honig, die vom Pentagon herabhängen.

Tag des Reiseantritts, Küche, 5.00
Ich habe doch noch etwas geschlafen, gerade geduscht und trinke nun einen frisch gepressten Orangensaft. Während mein Vater an der Küchenzeile steht und den "Teri-Lap-sangsu-Chong" Tee vorbereitet, kommt Peter in Boxershort und Shirt, sich zwischen den Beinen kratzend, nach unten. Als er gerade dabei ist, den Saum der Traumgardienen zu schildern, fällt mir das Messer aus der Hand. Papa zuckt zusammen und faucht mich gereizt an. Der Orangensaft ist lecker.
Tag des Reiseantritts, Auto, 6.00
Die Koffer und die Familie sind ins Auto gewuchtet. Als wir aus der Einfahrt kommen, sehe ich, dass meine Cousinen+Tanten auf dem Fußweg stehen und mir zuwinken****. Sie sind extra für mich aufgestanden. Freut mich, ich winke ihnen zu.

Tag des jüngsten Gerichts, Kingscross-Bahnhof 11.55
Als ich aus der U-Bahn steige, kommt mir ein Mann in weißem Gewand entgegen, nickt freundlich und guckt mich an. Da ich ihn gut kenne, grüße ich ihn. Er teilt mir mit, dass er heute hier sei um Jüngstes Gericht abzuhalten. Ich mache einen schlechten Witz der irgendetwas mit "Alter Sack" zu tun hat. Dann wache ich auf.
Abreisetag, am Flughafen, 6.46
Mama weckt mich auf. Das Auto steht direkt vor dem Flughafen. Extrem schlaftrunken schleppe ich mich aus dem Auto, die noch niedrige Sonne blendet mich. Ich kann die Wichtigkeit dieses Momentes noch garnicht richtig verstehen, es ist das letzte mal dass ich dieses Auto verlasse, das letzte Mal, dass ich den Kofferraum aufmache und einen Koffer eher herausfallen lasse als das ich ihn nehme. Wir betreten den Flughafen und sehen sofort die Gruppe der anderen Austauschschüler, die sich dadurch bemerkbar macht, dass sie meinen übermüdeten, abwesenden Gesichtsausdruck nahezu perfekt imitiert. Als ich ankomme, wird mir klar: sie haben genau dass gleiche erlebt wie ich. Ob sie wohl den gleichen Traum wie ich hatten?

Anmerkung zum letzten Post:
was ich über den Gott des Alten Testaments geschrieben habe, hat wer anders auch gesagt. Ist mir aufgefallen, als ich den Artikel über Glaube in der neuen "ZEIT: Wissen" gelesen habe: Richard Dawkins hat genau das, natürlich wesentlich eloquenter als ich, gesagt. Bloß in einem Punkt wiederspreche ich ihm: Gott ist nicht der Ursprung aller Kriege, der liegt im Menschen.
Ach so, ich glaube übrigens ein bisschen an Gott. Ich sehe bloß keinen Grund zu ihm zu beten, bin ja so weit glücklich. *****


*An sich selbst zu denken ist der einzige Weg zu wissen, dass jemand an einen denkt. Deswegen: Ganz oft machen!
** ich war kurz davor, nämlich mit "h" zu schreiben
*** Ok, also das werden meine Eltern wohl kaum denken, aber: Ich an ihrer Stelle würde genau das denken. Ich mag mich nämlich.
****Die wohnen bei uns nebenan.
*****natürlich sollte man auch beten, wenn es einem gut geht, Dankbarkeit und so. Doch die zeige ich besser, indem ich gut gelaunt durchs Leben gehe und anderen helfe

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